Woran erkennt man schwerreiche Menschen? – ein Gespräch mit einem Kellner Deluxe

Als Thomas Mann in seinem Buch „Geständnisse des Hochstaplers Felix Krull“ den Romanhelden erst  als Liftboy, dann als Kellner und Oberkellner in ein Pariser Luxushotel verfrachtete, wusste er genau, dass man an so einem Ort am besten den Habitus, die Gesprächsgewohnheiten und die Insignien des wahren Wohlstandes kennen lernen kann. Daran muss ich denken, als ich Alfons* treffe, der aus verständlichen Gründen anonym bleiben will. Er ist seit nahezu 30 Jahren in der Top-Gastronomie tätig und versprüht selbst den Nimbus eines Millionärs. Alfons* trägt stets feinste Markenkleidung und bewegt sich sicher durch die Lobby eines noblen Berliner 5 Sternehotels, in dem er vor über 15 Jahren einmal selbst gearbeitet hat. Alfons behauptet von sich selbst, dass er mit ziemlicher Treffsicherheit den Schufa-Score und den Kontostand eines Menschen vorhersagen kann, schränkt aber ein, dass man durchaus einmal daneben liegen kann.

Alfons* arbeitete in Stuttgart, Frankfurt, München, Kitzbühel und Berlin in eben jener Gastronomie, in der sich Reiche, Schwerreiche Menschen und Blender bewegen. Mit ihm sprachen wir darüber, wie man im Laufe der Jahrzehnte lernt, die einen von den anderen zu unterscheiden.

Alfons*, Du bist seit vielen Jahrzehnten in der Top-Gastronomie tätig. Vielleicht einmal vorneweg: Ist es denn für Dich wichtig, wie reich Deine Gäste sind?

Ja, das hat schon eine gewisse Relevanz. Wenn ich junge Gäste habe, die sich vielleicht den Abend lange vom Mund abgespart haben, wo ich merke, dass sie auf das Budget achten müssen, dann agiere ich anders. Ich werde vielleicht nur das kleine Menü empfehlen und bei den Weinen darauf achten, dass ich den Bogen nicht überspanne. Wenn ein junger Mann eine junge Frau schick ausführt (oder umgekehrt), in Wirklichkeit sich das aber nur schwer leisten kann, dann kann ich sie oder ihn nicht bloßstellen, indem ich einen Wein empfehle, der viel zu teuer ist. Wenn der Gast ihn dann ablehnen muss, um einen billigeren zu nehmen, dann ist er blamiert.
Umgekehrt bin ich meinem Arbeitgeber verpflichtet, das Maximum an Umsatz zu generieren. Zudem gibt es einfach Gäste, die sich was gönnen und ganz bewusst Geld ausgeben wollen. Vor kurzem hatte ich ein Ehepaar, das aufgrund der familiären Situation (Nachwuchs) seit fast drei Jahren nicht mehr aus war. Beides totale Weinliebhaber. Unser Sommelier konnte den Ball leider nicht auffangen, empfahl gute, aber recht preiswerte, frische Weine. Beim Aperitif kam ich mit ihnen ins Gespräch und stellte fest, dass sie Liebhaber gereifter Rieslinge sind und ich empfahl ihnen einen Wein aus dem Keller, der nicht auf der Karte stand. Ein GG von einem Topwinzer aus dem Jahr 2007. Der Preis war dreistellig, die Gäste total glücklich. Beide waren sicher nicht reich, wollten aber was Besonderes haben, um diesen Abend zu zelebrieren.

Das ist gut und schön und klingt einfach super. Aber was ist mit den Angebern?

Ja, aber die erkennt man leicht. Entweder sind es reine Männerrunden, oder ältere Männer mit viel jüngeren Frauen. Sie wollen sich und ihr Ego feiern, sind durchweg etwas lauter, wollen gesehen werden. Das klingt erstmal ein bisschen unsympathisch, dabei können diese Menschen aber wirklich sehr lustig und unterhaltsam sein. Vor allem sind sie oft sehr großzügig beim Trinkgeld und konsumieren für viel Geld. Eines sind sie aber so gut wie nie: schwerreich. Vielleicht gutverdienend, erfolgreich im Job, aber eben nicht reich. Diese Menschen haben fast immer fette Uhren, vorzugsweise Rolex und ein schickes Auto.
Seit ungefähr 15 Jahren sind wir aber auch noch mit einer anderen Schicht konfrontiert: den temporär Reichen. Das sind junge Start-up Unternehmer*innen, nachdem sie erfolgreich Geld eingesammelt haben. Das Geld ist nicht erarbeitet, sondern erpitcht. Wenn sie die neue Finanzierungsrunde feiern, dann lassen sie es auch krachen, haben aber in der Regel keine Ahnung von Champagner, Wein und Genuss. Das sind dann die, die Gänsestopfleber mit teurem Bordeaux kombinieren wollen, nur weil beides teuer ist. Ich bilde mir tatsächlich auch ein, dass ich vorhersagen kann, ob diese Start-ups erfolgreich sein werden. Unabhängig von der Businessidee, nur aufgrund der Unternehmer*innen-Persönlichkeiten. Wie man mit fremdem Geld umgeht, sagt sehr viel über den Charakter eines Menschen aus.

Also sind das die Menschen, die man als Blender bezeichnen würde?

Ja, das kann man schon so sagen. Das ist ein Menschenschlag, der gerne mal ein Bild von sich erzeugt, das sie nicht immer ausfüllen können. Da wird jungen Frauen was vorgemacht, Investoren müssen überzeugt werden und beides geht nicht immer mit der harten Realität. Da zündet man Nebelkerzen.

Jetzt einmal umgekehrt: Woran erkennst Du jetzt die wirklich wohlhabenden Gäste?

Das ist tatsächlich relativ komplex, weil es zu viele unterschiedliche Typen gibt. Ist das Geld geerbt, ist es selbst verdient? Sind es Neureiche oder handelt es sich um „altes Geld“. In welcher Branche sind die Menschen reich geworden? Das alles ist wichtig. Auf jeden Fall darf man nicht den Fehler machen und auf das Verhalten achten. Ich hatte zum Beispiel zwei sehr erfolgreiche Unternehmer der alten Schule als Gäste. Ein extrem extrovertierter Landmaschinenhersteller, der das Personal kommandiert hat und aus Prinzip die ersten Flaschen Wein immer als ungeeignet zurückgehen ließ. Seinen Namen kannte man, er hätte das überhaupt nicht nötig gehabt. Aber es war ihm wichtig, erst einmal sein Revier zu markieren. Danach wurde er handzahm. Im Gegenzug dazu ein sehr berühmter Betreiber einer Drogeriekette. Ein wahnsinnig bescheidener und angenehmer Mensch. Wenn er im Restaurant sitzt, dann würde man nie vermuten, dass es sich um einen der wohlhabendsten Menschen Deutschlands handelt. Er ist zuvorkommend zu jeder Mitarbeiter*in, ihn schmücken keinerlei Statussymbole. Generell gilt: wenn das Vermögen in die Milliarden geht, dann werden die Menschen sehr zurückhaltend. Sie bestellen Tische im eher ruhigen Teil, damit sie sehen können, aber nicht unbedingt gesehen werden. Wenn sie sehr teure Weine trinken, dann sollen sich nicht am Tisch stehen, sondern eher weiter weg. Am Handgelenk baumelt in der Regel keine fette, auffällige Rolex, sondern eine A.Lange&Söhne, eine Audemars Piguet oder Jaeger-LeCoultre. Auf jeden Fall dezent. Bezahlt wird hingegen mit der Centurion von AMEX oder der UBS MasterCard Excellence. Die wird aber niemals auf den Tisch geknallt. Diese Menschen werden auch oft dezent begleitet und die Rechnung wird vom Privatsekretär oder der Privatsekretärin beglichen. Die sitzen oft in der Nähe und wirken wie normale Gäste. Die Security ist dann auch dabei.

Warum werden die schwerreichen Menschen stiller?

Das hat einen einfachen Grund: die Angst vor Entführung und Lösegelderpressung. Das ist auch der Grund, warum ich nie mit einem so reichen Menschen tauschen möchte. Die permanente Angst, vor allem auch um die Kinder. Seit Oetker, Reemtsma, Schlecker und Albrecht geht in diesen Kreisen die Angst um. Zudem haben vor allem Handelsunternehmer*innen Angst vor der Missgunst der Kundschaft. Leben diese Menschen zu protzig, kann das dem Image schaden und Umsatz kosten.

Dennoch darf man nie unterschätzen, dass diese Menschen absolute Alpha-Tiere sind. Egal wie weiß der Schafspelz ist. Zu so einem Vermögen kommt man nicht, indem man tatsächlich zurückhaltend und bescheiden ist.

Gibt es noch einen Hinweis auf den Reichtum von Menschen?

Ja, es gibt den Duft. Ich kann das nicht beschreiben, aber ich kann richtig teure von preiswerteren Parfums unterscheiden. Richtig reiche Frauen riechen in der Regel nicht nach Chanel No. 5. Ich hatte mal einen Gast, die fragte ich sogar nach ihrem Parfum. Das war nur ein Mal im Leben, das ich das gemacht habe. Es handelte sich um Poivre von Caron. Sehr reiche Männer nutzen eher Nischendüfte oder lassen sich die Düfte individuell kreieren. Extrem reiche Männer riechen also eher nicht nach Boss oder Le Male von Gaultier. Auch wenn diese Männer oft die Düfte gar nicht selber kaufen, sondern geschenkt bekommen. Und wer würde schon einem Multi-Millionär ein Parfum aus Massenproduktion schenken?

Schuhe und Brillen sind dann auch noch jeweils eigene Kapitel. Aber eines habe ich in Stuttgart gelernt: Sonntags ist alles anders. Da hatte ich immer wieder die komplette Führungsriege der regionalen Top-DAX-Konzerne zu Gast. Inklusive deren Hauptanteilseigner. Und wenn dann sonntags jemand in Cordhosen, schlecht gekämmten Haaren und dezent unrasiert morgens das Croissant in den Cappuccino taucht, dann weiß man nie, wer da sitzt. Denn an diesem Tag, bei dieser einen Mahlzeit wollen auch Multimilliardäre einfach mal nur verpennt sein dürfen.

* Name geändert

Das Gespräch führte Bernhard Moser